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Emmanuel Retif
ESG-Analyst

Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im chinesischen Wuhan bis hin zum Ukraine-Krieg und der Belagerung Kiews sind sich die europäischen Politiker in einer wesentlichen Forderung einig: Europa muss autarker werden, die Abhängigkeit von kritischen Grundversorgungsgütern aus anderen Regionen, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Energie, reduziert werden. Bereits die Corona-Pandemie verdeutlichte die Notwendigkeit, die Produktion von Medikamenten und Masken aus China zurück nach Europa zu verlagern. Die russische Invasion in die Ukraine wirft nun die Frage auf nach der moralischen und wirtschaftlichen Verpflichtung, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland zu beenden, zumal diese Exporte die Hälfte des russischen Haushalts ausmachen.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission am 8. März 2022 unter dem Titel „REPowerEU“ einen Vorschlagskatalog vorgelegt, mit dem Europa „von fossilen Brennstoffen aus Russland, zunächst vom Gas unabhängig werden soll“. Die Kommission spricht von einem zeitlichen Horizont „deutlich vor 2030“ und will insbesondere „die Nachfrage der EU nach russischem Gas bereits vor Ende des Jahres um zwei Drittel verringern“. In Ermangelung eines Konsenses in Europa geht es dabei nicht um ein komplettes Embargo, bei dem einigen EU-Mitgliedsstaaten ein Blackout drohen würde (Deutschland bezieht 55 % seines Erdgases aus Russland, Italien 45 %).

Dennoch ist „REPowerEU“ ein höchst ambitionierter Plan, der weiter geht als der im Juli 2021 vorgestellte Plan „Fit for 55“, der bis zum Jahr 2030 eine Senkung der Treibhausgase um 55 % (verglichen mit 1990) vorsieht. „REPowerEU“ beruht auf zwei Säulen:

Diversifizierung der Gasversorgung: Geplant sind höhere Einfuhren von Flüssigerdgas von nichtrussischen Lieferanten (USA, Afrika) oder über Pipelines (Algerien, Norwegen) sowie eine Steigerung der Produktion bzw. Einfuhren von Biomethan und Wasserstoff. Kurzfristig empfiehlt die Kommission, die Gasspeicher in der EU bereits ab 2022 bis zum 1. Oktober eines Jahres zu mindestens 90 Prozent zu füllen, um die Versorgung in den Wintermonaten sicherzustellen.

Schnellere Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffen in Wohngebäuden, in der Industrie und in der Stromerzeugung: Steigerung der Energieeffizienz (Verringerung des Verbrauchs) und Ausbau der Elektrifizierung (Senkung des Gasverbrauchs) in Verbindung mit dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien im europäischen Energiemix. Verglichen mit „Fit for 55“ würde der Plan REPowerEU die Kapazitäten an erneuerbaren Energien um 20 % steigern.
Mit diesen Maßnahmen würde der Verbrauch an fossilem Gas in der EU bis 2030 um mindestens 155 Mrd. Kubikmeter jährlich gesenkt (mit „Fit for 55“ waren es 100 Mrd. Kubikmeter). Dies entspricht der Menge, die jährlich aus Russland eingeführt wird; die Importe aus Russland würden damit beendet.

In den kommenden Monaten müssen die europäischen Regierungen allerdings gleichzeitig die erheblichen Auswirkungen abfedern, die die stark gestiegenen Kraft- und Brennstoffpreise auf die privaten Haushalte haben, und zwar durch Sondermaßnahmen zur Deckelung der Preise und durch Steuererleichterungen. Das Problem wird auf längere Sicht nicht von der Tagesordnung verschwinden, da eine Rückkehr zur kostengünstigen Energieversorgung unwahrscheinlich erscheint.

Zudem kann eine Versorgung mit Wasserstoff und Biomethan nicht binnen kurzer Zeit umgesetzt werden. Daher wird – zumindest kurzfristig – die Diversifizierung der Gasversorgung durch eine Steigerung der Flüssiggas-Importe aus nicht-konventionellen fossilen Energieträgern u. a. aus den USA erfolgen. Dies wird dazu führen, dass der CO2-Ausstoß in der Produktion erhöht und die Biodiversität weiter zerstört wird. Offenbar ist dies der ökologische Preis, der angesichts des Schocks der russischen Invasion in die Ukraine und angesichts der notwendigen Umstrukturierungen der europäischen Energiepolitik zu zahlen ist.

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